Hochsensibel durch Trauma?

 

Sind Hochsensible traumatisiert? Ist jeder Hochsensible durch Trauma dazu geworden? Oder gibt es eine angeborene Hochsensibilität? Diese Fragen werden mir als Psychologin und Expertin für Hochsensibilität oft gestellt.

Das Jahr 2020 war für uns alle kollektiv sehr traumatisierend. Systematisch wurden uns die gewohnten Lebensumstände entzogen, Isolation, Angst, Kontrolle und Existenzpanik waren und sind auch 2021 an der Tagesordnung. Viele Menschen, besonders Hochsensible kommen hier an ihre Grenzen. Daher möchte ich das Thema „Trauma und Hochsensibilität“ in diesem Artikel aufgreifen.

Einige Forscher, wie zum Beispiel Dr. Elaine Aron, gehen bei der Hochsensibilität von einem vererbten Persönlichkeitsmerkmal aus, das auftritt, egal wie die Biografie eines Menschen ist. Das wäre eine „reine Hochsensibilität“.

 

  • A) Nur Hochsensibilität: sie ist genetisch vererbt, ein Persönlichkeitsmerkmal und angeboren. Die „echte Hochsensibilität“ könnten wir sagen.

 

  • B) Hochsensibilität durch Traumatisierung. Durch frühe Traumata, wie Gewalt, schwere Krankheiten, Alarm, Krieg, Bindungstraumata usw. wird eine Sensibilisierung im Nervensystem gebahnt, die später zu Ängsten, Bindungsproblemen, Überreiztheit und einer unsicheren Identität führen.

 

Eine häufige Behauptung, die seit Jahren im Internet kursiert, besagt, die Hochsensibilität sei immer auf ein Trauma in der Biografie zurückzuführen. Das würde ich nach meiner Erfahrung nicht als einfache Formel akzeptieren. Dennoch kommen in die Beratung vermehrt Menschen mit traumatischen Biografien und suche Hilfe.

Ich zeige Dir in diesem Artikel, wie Du Hochsensibilität von Traumafolgen unterscheiden kannst und warum auch Traumatisierte hochsensibel von Geburt an sein können, denn beides ist möglich.

Ich selbst bin jedoch davon abgekommen, „echte / angeborene Hochsensibilität“ von „erworbener Hochsensiblität“ zu unterscheiden. Früher war mir das ganz wichtig. Doch im Coachingalltag läuft es ganz anders. Es melden sich so viele Menschen, die Hilfe brauchen, die sich im Konzept der Hochsensibiltät wiederfinden und die alle aus unterschiedlichen Familien und Konstellationen stammen. Das Spektrum der hochsensiblen Phänomene ist sehr weitreichend und beginnt bei einer feinen Sensibilität, es kann jedoch auch ins Traumaspekturm hineinreichen.

Trauma-Ursachen sind nicht immer einmalige Erlebnisse

 

Einmalige Traumata nennt man auch Schocktraumata: Dazu gehören folgende Ergebnisse:

  • Unfälle
  • Naturkatastrophen
  • Plötzliche Verluste in der Familie (Todesfälle)

Dann gibt es noch die sogenannten Bindungstraumata und Entwicklungstraumata. Diese wiegen viel schwerer, sind aber oft nicht gut nachvollziehbar für Außenstehende, denn viele Eltern spielen dem Umfeld eine „heile Familie“ vor. Es gibt chronische Trauma Faktoren, die zu schwerwiegenden Verletzungen führen und sich im Erwachsenenalter als Traumafolgestörungen zeigen können.

Dazu gehören:

  • fehlende Mutterliebe
  • Geburtstraumata (Frühgeburt, Brutkasten, Trennung von der Mutter)
  • Adoption
  • ständige Ablehnung in der Familie (schwarzes Schaf)
  • Suchterkrankungen in der Familie
  • Gewalterfahrungen
  • emotionale Distanzierheit / Bindungsvermeidung eines Elternteils
  • sexueller Missbrauch
  • narzisstischer Missbrauch (dazu gibt es auf dieser Seite einen Test)
  • Eltern, die an Narzissmus und oder Borderline erkrankt sind
  • Kriegstraumatisierung der Eltern und Großeltern (transgenerationale Traumatisierungen)

 

Was geschieht mit Kindern, die andauernd Gefahr ausgesetzt sind?

 

Wenn ein Kind ständiger Gefahr ausgesetzt ist, reagiert das Nervensystem mit Überlebensinstinkten, die dafür sorgen sollen, eine Bedrohung zu überleben. Die Antennen fahren aus, und Kinder haben einen 360 Grad Wahrnehmungsradium, mit dem sie ihr Umfeld abscannen.

Das Kind lernt, seinen Fokus mehr ins Umfeld auszurichten, um möglichst schnell drohende Gefahren zu erkennen. Einige Betroffene berichten sogar davon, dass sie wie „Augen am Hinterkopf“ haben und sehen, was um sie herum geschieht, manchmal ahnen sie sogar Dinge im Voraus, so scharf sind ihre Sinne eingestellt.

 

Was passiert bei Entwicklungstraumata?

 

Die Betroffenen sind – auch im Erwachsenalter – ständig im Fluchtmodus; immer bereit, sofort zu reagieren, um der drohenden Gefahr zu entkommen. Ein Kind, das ständig traumatisiert wird, hat keine Chance auf eine normale Kindheit und die damit verbundenen Entwicklungsmöglichkeiten. Die ständige Aufmerksamkeit und Wachsamkeit verbrauchten sämtliche Energien. Oftmals entstehen daraus später auch Ängste, Übererregbarkeit und Gefühle von Hilflosigkeit, die sich hemmend auf Beziehungen und die Berufstätigkeit und Entfaltung der eigenen Talente auswirken.

Es entwickelt sich eine sehr starke Empathiefähigkeit – die hochsensiblen, traumatisierten Menschen lernen, blitzschnell zu erkennen, was im anderen Menschen vorgeht, wie sie sich fühlen und was sie wohlmöglich als nächstes tun werden. Darin begründen sich später auch die Abgrenzungsprobleme, denn die gesamte Wahrnehmung ist nach außen gerichtet: das Gefühl für das eigene Selbst und den Körper wird zurückgestellt.

Wahrscheinlich wird durch die Daueralarmierung des Nervensystems die Filterfunktion des Thalamus behindert, mit der für Hochsensible bekannten Folge, dass alle Umweltreize schlechter gefiltert werden können, die Folge: Überreizung und Stressanfälligkeit.

Sind alle Hochsensiblen Traumaopfer?

 

Nein, das kann man nicht so sagen. Es lässt sich nicht so einfach auf diese Formel reduzieren. Laut Elaine Aron gibt es auch Hochsensible, die von Geburt an so sind, die eine gute bzw. normale Kindheit haben. Dennoch muss man eingestehen, dass viele Traumatisierungen auch verdrängt werden und nach außen hin die Familien alles tun, um Negatives zu vertuschen. Dennoch würde ich auch sagen, das NICHT alle HSP (Hochsensiblen) traumatisiert sind.

Auf jeden Fall können wir andersherum auch feststellen: Es gibt Menschen, die durch extreme Traumatisierungen später zum Narzissten werden oder eine Borderlinestörung entwickeln. Sie unterscheiden sich jedoch deutlich von Hochsensiblen und haben größere Probleme im zwischenmenschlichen Zusammenleben.

Es könnte sein, dass Hochsensibilität die leichteste Folge von Traumatisierung ist, und hier Empathie und eine gute Körperwahrnehmung bleiben, während die schlimmeren Folgen, wie eben genannt, zu echten Persönlichkeitsstörungen führen. Vielleicht ist die Hochsensibiltät auch auch Schutz vor Persönlichkeitsstörungen? Denn viele Hochsensible, die als Kind Gewalt erlebt haben, geben das NICHT an die nächste Generation weiter! Sie haben sich ihre Sensibilität und Gefühlsreichtum bewahrt, haben sich nicht verpanzert und abgekapselt.

Es kann aber auch sein, dass es „reine Hochsensible“ gibt, die einfach durch Veranlagung die sensible Wahrnehmung haben. Das lässt sich im Grunde nur mit langfristiger Forschung klären. Natürlich bleibt hier auch die Frage der transgenerationalen Traumaweitergabe.

In meinen Beratungen habe ich oft mit Hochsensiblen zu tun, die aus Familien stammen, deren Eltern Narzissten sind. Vielleicht ist die Hochsensibilität auch ein Geschenk, denn hier wird die Kette des Narzissmus und der Egozentrik durchbrochen: hin zu mehr Mitgefühl, Emapthie und Weichheit.

 

Was sind Unterschiede und Gemeinsamkeiten

von Hochsensibilität und Trauma?

 

Traumatisierte Menschen mit Persönlichkeitsstörungen
 Hochsensible Menschen im klassischen Sinne
   
Starke innere Unruhe, Suche nach Stimulation als Ablenkung, lieben Drama, suchen Drama Suchen nach Ruhe und Rückzug, lieben Harmonie, streben nach Ausgleich
   
Egozentrik, emotionale Unreife Empathiemangel Starke und authentische Empathiefähigkeit, ideal für Familien und soziale Berufe
   
Spüren sich und ihren Körper schlecht, bis gar nicht Ausgeprägte, differenzierte Körperwahrnehmung
   

Hang zu Alkohol, Drogen, Glücksspiel, Kaffee, Zigaretten

 

Ablehnung von Alkohol, Drogen und teilweise sogar Kaffee
   
Gefühle von innerer Leere, Sinnlosigkeit, Einsamkeit Lieben Rückzug, Einsamkeit, Ruhe, starke Gefühle von Verbundenheit (mit der Natur, spirituell)
   
Oft mit Bindungs- u. Beziehungsstörungen geplagt Führen gern enge, aber wenige Freundschaften,beziehungsfähig, liebevolle Eltern

 

Viele Menschen sind traumatisiert. Deshalb wird bei vielen kein eindeutiges Ergebnis herauskommen. Deshalb kannst du sowohl von der Veranlagung hochsensibel sein als auch durch Trauma… Die Übergänge sind fließend. Leider geschehen viel Traumatisierungen komplett im Verborgenen. Die meisten Familien stellen sich nach außen als „perfekt“ und „heil“ dar. Das ist besonders schlimm für die Kinder, deren Eltern narzisstischen, sexuellen und emotionalen Missbrauch betreiben. Auch Kinder von Müttern, die an Borderline leiden werden in ihrem Leid oft nicht erkannt. Das verstärkt die innere Hilflsosigkeit und Einsamkeit. Wenn Du Dich Deinem traumatisierten innerem Kind zuwendest, hilfst Du ihm aus dieser Isolation herauszukommen.

Und immer wenn Trauma ins Spiel kommt, brauchen wir mehr Unterstützung im Erwachsenenalter, um über diese destruktiven Prägungen hinwegzukommen. Ein wichtiger Schlüssel zur Erholung und Stabilisierung sind verlässiche Beziehungen, feste Bindungen und Freundschaften. Sie geben uns die Geborgenheit, die wir brauchen, um innerlich zu heilen.

Warum ist es wichtig, über Trauma Bescheid zu wissen und

nicht alles auf die Hochsensibilität zu schieben?

Menschen mit starken Traumatisierungen haben größere Schwierigkeiten, mit ihrem Leben zurecht zu kommen und ihren Platz im Leben zu finden. In diesen Fällen ist es wichtig, eine Traumatherapie zu beginnen, um nicht an den Langzeitfolgen von frühkindlicher Traumatisierung zu leiden. Woran kann man Entwicklungtraumata im Erwachsenenalter erkennen?

  • starke Ängste, Hemmungen
  • Schwierigkeiten in Beziehungen
  • Bindungsängste
  • verpasste Entwicklungsaufgaben (Familiengründung, passende Berufswahl)
  • massive Versangsängste
  • Panikattacken, Psychosen
  • Schwierigkeiten, sich emotional zu regulieren (sich zu beruhigen)
  • massive Abgrenzungsprobleme
  • Schlafstörungen
  • der Körper funktioniert nur
  • Probleme in der Sexualität und Intimität (Angst sich fallen zu lassen, selbstzerstörerisches Verhalten, Verweigerung und Ablehnung von Sexualität)
  • Todessehnsucht
  • starke, sich wiederholende Depressionen
  • Suchterkrankungen

Daher ist es wichtig, zu erkenen, ob Du „nur hochsensibel“ bist oder ob sich hinter Deiner Hochsensibilität noch ein tieferes Entwicklungstrauma verbirgt, das dringend Heilung benötigt. Wir können einige Jahre Traumata kompensieren, doch wenn sie nicht therapiert werden, können sich daraus später ernsthafte Probleme entwickeln, die eine Eigendynamik haben, die sehr viel Raum einnehmen kann.

 

Hochsensibilität und Trauma im Überblick:

  • Es gibt deutliche Unterschiede zwischen einfachen Hochsensiblen und Menschen mit Traumafolgestörungen
  • Hinter hochsensiblen Eigenschaften können sich jedoch traumatische Prägungen verbergen
  • Es gibt auch Hochsensible, die durch Trauma noch empfindlicher werden, die Übergänge sind fließend
  • Hochsensibilität kann deutlich von Narzissmus, ADHS oder Borderline unterschieden werden
  • Um Traumatisierungen zu behandeln, braucht es fundierte psychotherapeutische Begleitung, oft sogar über Jahre hinweg. Viele Opfer werden allein gelassen, oder erkennen selbst nicht, dass sie Hilfe brauchen.

 

Weitere Informationen zum Thema Trauma und Hochsensiblität findest Du in meinen Büchern

Bücher, Sylvia Harke, Hochsensibel was tun

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Sylvia Harke

Sylvia Harke

Hallo, Du liest hier meinen Blog zum Thema Hochsensibilität. Ich bin Buchautorin, selbst hochsensibel, Coach und Dipl.-Psychologin. Ich arbeite freiberuflich als Seelen-Dolmetscherin und Schriftstellerin. Mit einer selbständigen Tätigkeit verwirkliche ich meinen Traum von einem selbstbestimmten, kreativen Leben. Ich schreibe über Hochsensibilität, Sensitivität, Erfolg, Beziehungen, Talententwicklung, Kreativität, Selbstverwirklichung und Psychologie.

Hier erfährst Du mehr über mich und meinen persönlichen Weg.

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